Sympathie. Es gibt Menschen, die mag man einfach. Muss aber sagen, dass ich das nur sehr selten habe. Dass ich meine beste Freundin in den ersten zwei Jahren nicht leiden konnte, sagt alles. Jedenfalls wird man bei dem ein oder anderen einfach in eine Art ‚Bann’ gezogen, wüsste nicht wie man das anders oder besser ausdrücken könnte. An diesen Leuten ist irgendwie etwas anders und das macht sie spannend. Sie können äußerlich noch so unattraktiv sein, da ist etwas ganz Eigenes was sie schön macht. Schöner, als die anderen. Es ist pure Faszination und man möchte wissen, was genau so besonders ist. Und ganz nebenbei, ohne es zu merken, wird man in diesen Bann gezogen. Alter Verwalter, was ein Kitsch. Und ums schon mal zu erwähnen, das wird sich auch nicht ändern.
Spreche nicht von Liebe, sondern von Faszination. 08 war ich zwei Wochen lang auf Rhodos. Ist an sich nicht sonderlich spektakulär, aber eine Frau war mir von Anfang an besonders aufgefallen. Ungefähr 1,70 groß, etwas mehr als schulterlange, leicht gewellte, schwarze Haare, blaue Augen und von mir um die 45 geschätzt. Sie war mit ihrer Familie dort gewesen, Mann und zwei Kinder, damals fünfzehn und elf. Ein Junge und ein Mädchen. Weiß bis heute nicht genau, was mich so aufmerksam auf diese Frau gemacht hat. Vielleicht war es dieses sanfte, manchmal nur angedeutete und doch so ehrlich erscheindende Lächeln, welches zu jeder Tages- und Nachtzeit ihr Gesicht zierte. Vielleicht war es dieses herausfordernde Funkeln ihrer Augen, welches schon von weitem deutlich zu sehen war. Vielleicht war es, neben dem Lächeln, aber auch die Art und Weise, wie sie lachte. Mal ein amüsiertes, leises Kichern, dann ein herzliches, lautes Lachen, bei dem sie sich leicht nach hinten lehnte und den Kopf in den Nacken legte, während sie die Augen schloss und die Handflächen auf die Oberschenkel schlug.
Habe Probleme, Leuten in die Augen zu schauen. Weiß nie, wo genau ich hinschauen muss, gibt ja schließlich zwei Augen. Meistens schau ich ins Linke, glaub ich. Oder ich wechsele immer mal wieder. Auf die Nase schauen geht nicht, fällt auf. Aber Manche können wirklich gleichzeitig in beide Augen schauen, fühlt sich für mich zumindest so an. Bei dem ein oder anderen habe ich dann das Gefühl, dass er in mich hineinschauen kann. Hoffe dann immer, dass sie oder er keine Gedanken lesen kann. Finde das sehr unangenehm, fühle mich ertappt, wenn ich mich in Gedanken über diese Person amüsiere. Kann dann auch nicht damit aufhören, die Gedanken sind ja bekanntlich frei.
Des Weiteren ist es unangenehm, wenn derjenige, der eine Zeit lang durchlöchert hat, diesen Vorgang mit einem gekünstelten Lächeln und dem Zukneifen beider Augen abschließt. Mag es wie gesagt nicht, wenn Leute in mich hineinschauen, möchte, dass sie mir vor den Kopf gucken. Dann ist da noch so ein gewisser Schutz, wenn sie aber in den Kopf schauen, wird dieses Augenzukneifen schnell zur erniedrigenden Geste.
Um noch einmal auf die oben beschriebene Frau zurückzukommen. Emma, so hieß sie, wie ich später herausfand, konnte auch in Leute reinschauen. Aber eben anders. Muss sagen, dass ich mich generell sehr von ihr beobachtet fühlte und das eine Woche lang. Aber merkwürdigerweise empfand ich es nie als unangenehm, im Gegenteil.
Mir halt mal jemand gesagt, dass der Großteil der Menschen einfach sehr neutral ist, was Blickkontakt anbetrifft. Der Rest ist da sehr differenziert, sowohl wenn man ihn gegen den Großteil stellt, als auch, wenn man ihn untereinander vergleicht. Es gibt da nämlich zwei Gruppen. Die erste Gruppe, nennen wir sie die Bösen (Schwarz-Weiß-Denken macht die Erklärung einfacher), schaut in dich hinein und entzieht dir Kraft. Erinnert mich an Harry Potter, bin mir aber nicht sicher, ob das ein guter Vergleich wäre, mag Harry Potter nicht. Jedenfalls sollte man diese Menschen besser nicht in sein Herz lassen, klingt auch verständlich, glaube ich. Die andere Gruppe, im Umkehrschluss also die Guten, entziehen keine Kraft, sondern geben dir ein Teil ihrer eigenen. Und diese Menschen kann man dann durchaus bedenkenlos in sein Herz lassen.
Bei Emma war genau das der Fall, ich fühlte mich nicht schlecht, wenn sie mich beobachtete, sondern gut. Nach etwas mehr als einer Woche kamen wir ins Gespräch. Es war kurz nach elf in der Früh, als ich in der Poolbar frühstückte und Emma sich mit einem Glas stillem Wasser (eins, was keinen Stress macht, haha) an denselben Tisch setzte. Ich war durchaus verwundert, als sie fragte, ob sie sich setzen dürfte, schließlich waren die anderen Tische, und es gab wirklich sehr viele, um diese Zeit unbesetzt. Die meisten Urlauber machten nämlich bereits ihre Ausflüge oder lungerten am Strand oder Pool auf ihren Liegen herum. Ich bejahte.
Erst schwiegen wir uns eine Weile an, während ich überflüssigerweise auf einem Stück Wassermelone herumkaute (überflüssig, da sie so weich war, dass man sie mühelos zwischen Gaumen und Zunge hätte zerdrücken können) und nervös mit den Füßen auf dem Verbindungsstück der einzelnen Stuhlbeine, welches sich ungefähr in acht Zentimeter Höhe befand, herumwippte. Emma nahm immer mal wieder einen Schluck Wasser aus dem dreiviertel befüllten Glas und schaute mir beim Essen zu. Ich fühlte, dass sie mir ins Gesicht schaute und so erwiderte ihren Blick. Dann sah ich ihr Lächeln zum ersten Mal von nahem. Sie saß einfach da und lächelte mich an. Dann fragte sie nach meinem Namen und wir machten uns bekannt. Wir redeten über dies und das und stellten fest, dass wir zu vielen Dingen eine ähnliche Meinung hatten.
Finde, dass man Leuten, die man in sympathisch findet, auch sagen sollte, dass man sie sympathisch findet. Herumkritisiert wird meines Erachtens eh schon genug. Alles muss irgendwie immer noch ein Stück besser sein, egal wie gut es ist. Aber wann wird etwas Positives geäußert, ohne dass es den Zweck erfüllt, negative Kritik möglichst freundlich zu verpacken. Erinnert mich an die Rückmeldungen, die man nach Präsentationen in der Schule erhält. ‚Also, du hast das auf jeden Fall gut gemacht, aber ich finde, …’ Ist ja auch durchaus angebracht, aus dieser Kritik kann man lernen. Aber lobt man nicht eigentlich nur dann, wenn es einen wirklich umhaut? Meiner Meinung nach beschränken sich viele oft zu sehr darauf. Bei meinem Praktikum in einer Grundschule habe ich da so ein Spiel kennen gelernt, ‚Eine warme Dusche’ hieß das. Man saß im Kreis und jeder hat der Reihe nach etwas Positives zu seinem linken Sitznachbarn gesagt. Musste ja nichts Besonderes sein, ein ernst gemeintes ‚Schön, dass du da bist!’ genügte vollkommen.
Habe Emma gesagt, dass ich sie sehr sympathisch finde. Daraufhin hatte sie einen Moment lang nachgedacht, während sie so lächelte, wie ich es kannte. Dann zuckten ihre Mundwinkel kaum merklich ein Stück weiter nach oben, woraufhin sie ‚Danke’ sagte. Nach einem weiteren Augenblick der Überlegung lachte sie kurz auf. ‚Vielleicht glaubst du mir nicht, aber ich überlege seit gut einer halben Woche, ob ich dich ansprechen soll. Ich finde, dass du auch etwas Sympathisches an dir hast.’ Mhm. Da wusste ich erstmal gar nicht was ich sagen sollte.
Die meisten Menschen finden mich sehr arrogant, wenn sie mich kennen lernen. Arrogant, desinteressiert und manchmal auch schlecht gelaunt. Alles, was ich dann dazu sagen kann ist ‚ich weiß’. Ja, ich weiß es wirklich. Bewundere diejenigen, die immer lächeln können und somit überall einen guten ersten Eindruck machen. Aber ich kann nicht immer lächeln, das wirkt sehr unecht und ist auch sehr unangenehm in den Mundwinkeln. Das Foto meines Personalausweises ist wirklich der beste Beweis, sehr gequält und vor allem- unsympathisch. Wie also konnte Emma mich sympathisch finden? Es hört sich sehr kitschig und auch frei erfunden an, nach Hollywood pur sozusagen, aber es ist wahr. Nichts von dem ist erfunden. ‚Du hast etwas, was andere nicht haben. Bleib so wie du bist.’ Das war alles, was sie dazu sagte. ‚Mhm, danke.’ Dann wechselten wir das Thema.
Später erfuhr ich, dass Emma Brustkrebs hat. Unzählige Krankenhausaufenthalte und eine ungemeine Angst waren schon lange Teil ihres Lebens gewesen und würden es, nach Aussage der Ärzte, auch bleiben. Wollte ihr etwas Aufmunterndes sagen, mir fiel aber nichts ein, was nicht lächerlich geklungen hätte. ‚Ach, das wird schon!’, ‚Nicht so pessimistisch!’ Was ein Schwachsinn. Nein, ich hatte wirklich keine Ahnung von all dem. Nicht vom Leben und nicht von Tod, und schon gar nicht von der Kante, auf der sie sich immer mal wieder befand. Also sagte ich nichts, nur, dass ich wirklich nicht wüsste, was ich ihr dazu sagen sollte. Sie bedankte sich für die Ehrlichkeit und dafür, dass ich nicht irgendeine Floskel gesagt hatte. Kurz darauf trennten sich unsere Wege wieder, da es ihr an diesem Tag nicht sonderlich gut ging und sie sich noch mal aufs Ohr hauen wollte.
Inzwischen geht es Emma wieder richtig gut und ich habe mich wirklich sehr gefreut, als sie mir das mitteilte. Finde, dass sie alles andere auch nicht verdient hätte.
Abschließend bin ich der Meinung, dass diese Art von Ausstrahlung ein wertvoller Besitz ist, wertvoller als jegliche äußere Schönheit.
Bonsoir ;-)