Montag, 12. Juli 2010

Sonntag, 11.07.10

Frei sein. Schaue nachdenklich zu, wie sich die weiße, einst um die zwei Euro-Münze große Tablette in Wasser auflöst. Als nur noch ein kleiner Rest vor sich hinsprudelt, atme ich tief ein, setze das Glas an die Lippen und trinke es komplett aus. Alles auf einmal, auf ‚Ex’ sozusagen, wer auch immer diese blöde Bezeichnung erfunden hat. Auf die Freundschaft zu trinken oder auf ‚Die Männer, die wir lieben und die Pisser, die wir kriegen’, geschenkt, aber auf Ex? Soll das im Falle des Alkoholgenusses etwa heißen, dass ich konsumieren muss, um den Verlust des Ex-Freundes zu ‚verkraften’ oder wie darf ich das verstehen? Nehme mir vor, irgendwann mal eine andere Bezeichnung dafür zu erfinden. Stelle das leere Glas auf die Fensterbank und wische mir mit dem Handrücken den feinen Sprudelfilm aus dem Gesicht.

Mist, am Glas laufen noch ein paar letzte Tropfen runter und bilden einen nassen Kranz auf der Fensterbank. Klebt Wasser mit Kopfschmerztablette? In meinem Gesicht noch nicht glaube ich, wobei mir so warm ist, dass eigentlich ohnehin alles klebt. Besonders die Oberschenkel, trage nämlich immer noch die Kleidung von gestern Abend, da war nun mal ein Rock bei und das scheuert so, wenn man schwitzt und das dann trocknet. Kennen das eigentlich alle Frauen mit Rock oder habe ich bloß zu dicke Oberschenkel? Werde mich bei Gelegenheit mal bei ein paar Frauen erkundigen, hole jetzt erstmal einen Lappen. Praktisch, hatte ohnehin schon länger vor, den klebenden Sektkranz wegzuwischen, der mit einigen festgesetzten Fusseln die Fensterbank ziert.

Das Hämmern in meinen Kopf lässt langsam nach, die Tablette fängt also an zu wirken; endlich. Rieche an meinem beigen, an einigen Stellen etwas dunkler mit Bier befleckten Shirt und falle fast stocksteif nach hinten über. Mein lieber Herr Gesangsverein, es ist unglaublich, wie eine einzige Person den Geruch einer ganzen Kneipe inklusive Raucherbereich annehmen kann. Ich stehe auf, halte mir den noch leicht schmerzenden Kopf und stelle mich vor den Spiegel, um mal die Spuren des vergangenen Abends zu begutachten. Habe mich vor dem Schlafengehen nicht abgeschminkt, und nun einen dicken, schwarzen Rand unter meinen leicht glasigen Augen. Einzelne Haarsträhnen hängen ins Gesicht und mein Hals wird von einem dicken, unschönen, fast ins Dunkellila gehenden, mittelgroßen Knutschfleck geschmückt; ich Schönheit. Aber egal wie verkackt ich ausschaue und wie stark der Kater auch ausfällt, gestern Abend habe ich mich gut und frei gefühlt und man soll ja bekanntlich nichts bereuen, wenn man sich im Moment des Geschehens wohl gefühlt hat.


‚High sein heißt frei sein’, dieses 69er-Parölchen dürfte doch jedem ein Begriff sein und ein Bild mit Hippie-Familie vor einem abgewrackten Zelt mit Lagerfeuer, bemaltem VW-Bus und Tütchen hervorrufen. Spliff; ist das wirklich ein Weg in die Freiheit? ‚High sein, frei sein, geil sein’; was ist Freiheit? Ist es, in warmen Sommernächten mir guten Freunden und Bierkasten um die Häuser zu ziehen und Joints zu bauen? Ist es das Austauschen von Zärtlichkeiten zweier, eigentlich heterosexueller Frauen? Zur puren Freude viele Sexpartner haben? Laut rülpsen, breitbeinig mit Rock sitzen, keine Unterwäsche tragen, blau machen, nackt schlafen, über Sex und übers Kacken reden, Designerdrogen einwerfen und auf Techno bis in die Früh tanzen. Ist Freiheit all das oder eventuell sogar nichts davon?


Habe vor kurzem eine Dokumentation über das Sexleben der deutschen Frau gesehen; durchschnittlich sieben Männer im ganzen Leben (ums an dieser Stelle mal zu vervollständigen, Mann hatte durchschnittlich fünfzehn verschiedene Kontakte). SIEBEN, ich glaube mich trifft der Schlag! Das erste Mal hat Frau in der Regel mit fünfzehn, geheiratet wird mit, sagen wir mal fünfundzwanzig. Und da verkehrt Frau mit nur sieben Kerlen und (das ist der Schmarn schlechthin) verleugnet, beziehungsweise reduziert ihre Sexpartner auf zwei bis drei, weil sie für Mann, der mit seinen fünfzehn Kontakten mal bitte ganz still sein kann, nicht als benutzt und somit als unattraktiv gelten möchte. Das ist doch jetzt eher Frau im Käfig, als Frau in Freiheit. Habe außerdem von einer Frau gehört, die Sexpartner im dreistelligen Bereich hatte und die Tatsache, niemals zu heiraten, durchaus als vorstellbar ansieht, da Mann sich durch die starke ‚Konkurrenz’ (jeder Kerl ist ja bekanntlich der Beste) überfordert fühlen könnte; also nein.


Gerade kommt es mir so vor, als wären wir überhaupt nicht freu, sondern das Glied einer Kette namens Mainstream-Welt. Und wo die Freiheit beim Auswählen der Farbe unserer Longchamp-Taschen und Bench-Jacken anfängt, so hört sie schon wieder da auf, dass wir sie alle tragen. Wir trauen uns also nicht, bei dem simpelsten Dingen individuell zu handeln, aus Angst vor Reaktionen anderer. Lieber schütteln wir uns bei jedem Schluck Wodka, bist wir betrunken sind und somit durch ‚Drogenkonsum’ frei sind, als dass wir aus eigener Überlegung heraus der oder die Einzige sind, der den Alkohol ablehnt, sich einen Fencheltee bestellt und sich somit abgrenzt. Auf einmal klingt ‚Einziger sein’ so gefährlich und fremd. Ist der Weg zur Erlangung des Freiheitsgefühls also auch schon vorgegeben? Heißen Drogen wirklich Freiheit? Manchmal; wenn man sich anschaut, wie viele letzten Endes deswegen draufgehen sind ist das fraglich. Und sobald man sich derart das Hirn wegpustet, dass eine Abhängigkeit besteht, wird aus Freiheit Zwang; ein Widerspruch. Und dieser Zwang gilt nicht nur im materiellen Sinne, auch oder besser gesagt sogar was die Liebe in Form von Gefühlen angeht. Die ‚freie Liebe’ gibt es also nur als ungebundenen Sex.


Auch wenn man mal größer denkt ist die Freiheit sehr eingeschränkt. Zwar herrscht das ‚Recht der freien Meinungsäußerung’, aber wenn mein Gegenüber eine andere Meinung vertritt, eine Kante mit Oberarmtätowierung und noch dazu zwei Köpfe größer ist, überleg ich mir lieber zweimal ob ich meine Meinung wirklich kundtue. Freie Meinungsäußerung ade. Oder Deutschland als Teil der EU, unter bestimmten Vorraussetzungen verpflichtet, anderen Ländern zu helfen; verpflichtet.. kann doch niemals frei heißen oder?


Ist es einem Mensch überhaupt möglich frei zu sein, wenn seine Tage von Geburt an gezählt sind? Wenn nahezu alles berechenbar ist und jeder Einzelne, zumindest hierzulande (wir sollten dankbar sein), zehn Jahre lang schulpflichtig ist? Hier ist auch wieder diese 'Pflicht'. Kann es also unter dem Aspekt Schulpflicht sein, dass Freiheit oft auch durch Pflichten wie diese erwächst und man durch diese reift und unabhängiger wird, während man so der Freiheit Stück für Stück näher kommt?


Freiheit kann so vieles bedeuten, für den einen der Spliff und für den anderen das Anschauen eines Sonnenuntergangs nach einem schönen Tag; wichtig ist nur, dass man dem eigenen Empfinden von Freiheit gerecht werden kann, um sich nicht eingeengt zu fühlen.


Aber egal wie man es auch dreht und wendet; die Gedanken sind immer frei und sie sind der Ort an dem Freiheit anfängt und bis ins Unendliche geht.


Bonsoir, ihr Lieben :-)